Wolfgang Jamelle (67 Jahre aus Dortmund) und Thomas Link (56 Jahre aus Bergkamen) kennen sich aus vergangenen gemeinsamen Zeiten. Zusammen haben sie als Schiedsrichtergespann viele Jahre in der Handball-Bundesliga gepfiffen. Was viele nicht wissen: Beide sind Mitglieder beim VfL Kamen! Beide haben ihre ersten Erfahrungen im Handball beim VfL Kamen gesammelt!
Für unsere Presseabteilung war dies ein guter Grund im Frühjahr diesen Jahres mit den beiden zu sprechen, um sie näher kennen zu lernen. Zwei Sachen vorneweg: Beide sind immer noch im Handballgeschäft tätig. Wolfgang Jamelle als DHB-Schiedsrichterwart und Wolfgang Jamelle als Fachwart Handball im deutschen Polizeisportkuratorium.
Wolfgang, Was genau sind die Aufgaben eines Bundesschiedsrichterwartes?
“ Ach da gibt es einige. Es gibt unglaublich viele Menschen mit denen ich zu tun habe. Das sind Trainer oder Funktionäre der Bundesligisten, aber auch in der Presse bin ich sehr gefragt und gebe immer wieder Interviews. Dort werde ich oft zu einzelnen Spielszenen gefragt, die auf den ersten Blick fragwürdig erschienen. Mein Tag ist gut mit einer Reihe von administrativen Aufgaben ausgefüllt. Ich werte Spielberichte und Rückmeldungen der Trainer und Vereine zu den Spielen aus, analysiere das Videomaterial einzelner Spiele und schneide Szenen für die Nachbereitung mit den Schiedsrichtern. Hinzu kommt natürlich meine Verantwortung für die Schiedsrichteransetzung der 1. und 2. Bundesliga und die Gesamtverantwortung der Fortbildung in Lehrgängen. „
Dein Amtsantritt im Jahr 2016 hatte ja eine traurige Vorgeschichte. Wie lief die Übernahme unter solch speziellen Umständen ab?
Das war im ersten Augenblick natürlich ein großer Brocken, ein solches Amt plötzlich zu übernehmen. Nach dem plötzlichen Tod meines Vorgängers Peter Rauchfuß, musste die Funktion schnellstens mit einer erfahrenen Person besetzt werden. Da ich bereits lange als Schiedsrichterwart im Westdeutschen Handball Verband und dann in der 3. Liga und zudem jahrelang als Schiedsrichter in der Bundesliga tätig war, hat man mich gefragt, ob ich diese Funktion übernehmen würde. Wenn ich gewusst hätte was da für ein Haufen Arbeit auf mich zukommt, hätte ich Nein gesagt! [Lacht]
Wie kompliziert ist die Koordination der Schiedsrichter in ganz Deutschland?
Es ist tatsächlich schwieriger als man denkt. Die Schiedsrichter stehen unter dauernder Beobachtung und Bewertung. Da geht es in jedem Spiel auch für unsere Schiedsrichter darum, in einem Bewertungsraster möglichst viele Punkte zu sammeln, um in den Ligen verbleiben zu dürfen oder aufzusteigen. Da alle Spiele der 1. Bundesliga Männer live bei Sky übertragen werden und auch die Spiele der 2. Liga Männer und der 1. Bundesliga Frauen im Internet in Livestreams laufen, stehen die Schiedsrichter im Fokus der Öffentlichkeit und jede ihrer Entscheidungen werden verfolgt. Dadurch muss ich schon genau drauf achten, dass brisante Spiele von erfahrenen Gespannen geleitet und geführt werden müssen. Bei Spitzenspielen wie Flensburg gegen die Rhein-Neckar-Löwen kann ich keine jungen Schiedsrichter ansetzen. Dort geht ganz schön die Post ab. Bei der Koordination muss ich ebenfalls darauf achten, dass die Schiedsrichter nicht mehrmals in einem kurzen Zeitraum dieselbe Mannschaft pfeift. Sonst beschweren sich wieder Trainer, wenn sie meinen ungerecht behandelt worden zu sein.
Eine Frage, die ihr sicherlich beide schon öfter zusammen gestellt bekommen habt: Könnt Ihr euch noch an ein gemeinsam gepfiffenes Spiel erinnern?
Jamelle: Ja da gab es einige. Nach einem Spiel habe ich sogar mal eine Strafanzeige bei der Polizei gestellt. Da ging es nach dem Spiel ganz schön brutal zu. Wir mussten durch einen seitlichen Tribüneneingang zu unserer Schiedsrichterkabine. Viele Fans waren emotional aufgeladen und wollten uns daran hindern. Wir konnten somit nur unter Aufsicht von einigen Ordnern durch die Menschenmenge. Ja und dann hab ich plötzlich eine Trommel von hinten auf den Hinterkopf geschlagen bekommen. Tat natürlich höllisch weh [lacht]. Der Fan hat eine Strafanzeige bekommen und ich eine saftige Platzwunde am Kopf.
Link: Ein Spiel wird mir immer in Erinnerung bleiben. Das „3-Sekunden-Spiel“. Es war ein „Endspiel“ um den Abstieg aus der ersten Liga, also Letzter gegen Vorletzter. Es war Freiwurf in Minute 59:57. Ich pfiff an und aktivierte zeitgleich meine Uhr. Es wurden drei Pässe gespielt bis zum Außen. Ich war Feldschiedsrichter und konnte die Hallenuhr dementsprechend gut sehen. Die Sirene ertönte als der Außen gerade aufs Tor warf und der Ball nach dem Schlusssignal die Torlinie überquerte. Natürlich durfte es nicht zählen. Das Spiel hatte ich regelgerecht abgepfiffen und deutete an, dass das Tor nicht zählte. Damals war eine große Menge wütend auf uns, sodass wir uns in unserer Kabine lange einschließen mussten. Die hätten uns sonst gelyncht! [Lacht]. So etwas bleibt natürlich in Erinnerung.
Wie fühlt es sich an ein Bundesligaspiel oder sogar Champions League zu pfeifen?
Also als Gespann erlebst du natürlich einige Sachen. Du musst mit deinem Partner nicht nur auf der Platte klar kommen, sondern auch daneben. Freunde sein, um die Gesten des anderen zu verstehen, um Entscheidungen besser zu treffen. International haben wir nie gepfiffen. Einfach weil unser Altersunterschied mit 12 Jahren zu groß ist und wir auch schon deshalb keine (internationale) Perspektive hatten.
Was Deine größte Fehlentscheidung (falls es eine gab)?
Link: [Lacht] Fehlentscheidungen sind immer so eine Sache beim Handball. Alles läuft so schnell ab und du musst innerhalb von Sekunden Entscheidungen treffen. Klar trifft man Fehlentscheidungen. Aber das ist halb so wild. Wenn mich Trainer auf Situationen ansprechen, dann ging es immer um sog. 50:50-Entscheidungen. Um die geht es hauptsächlich. Solange man als Schiedsrichter vergleichbare Entscheidungen auf jeder Seite gleich trifft, nimmt das Wort „Fehlentscheidung“ niemand in den Mund.
Wie seht Ihr die Entwicklung der Schiedsrichter im Profi- und Amateurbereich?
Jamelle: Das ist natürlich erschreckend. Ich stelle selbst fest, dass immer weniger Schiedsrichter ausgebildet werden, besonders im Amateurbereich. In der Ersten Bundeliga sind nur 15 Gespanne, die quasi im Dauereinsatz sind. Im Amateurbereich sind die Zahlen seit Jahren rückläufig (deutschlandweit fehlen ca. 5000 Schiedsrichter). Ein hoher Stressfaktor kommt in diesem Bereich natürlich hinzu. Man muss den eigenen Job, die Familie und das Hobby unter ein Dach bringen. Manche sind Spieler und Schiedsrichter gleichzeitig, da bist du doch das ganze Wochenende unterwegs zu irgendeiner Halle.
Link: Die Entwicklung ist nicht die beste, das stimmt schon. Als Jan mir das bei unserem letzten Treffen erzählte, war ich über die nun angedachten Folgen für die Vereine schon ein wenig überrascht. Die Strafen für fehlende Schiedsrichter waren mir ja bekannt, aber dass nun auch Punktabzüge für die ersten Mannschaften geplant sind, ist mir neu. Deswegen habe ich auch mit ihm vereinbart, dass ich ab Januar wieder für den VfL zumindest die Pflichtanzahl von Spielen pfeifen werde.
Thomas, Wie kommt man zum Amt des Fachwartes Handball im deutschen Polizeikuratorium?
Das hat sich quasi perfekt ergeben. Durch meine hohe Stellung bei der Polizei in NRW und die gleichzeitige Funktion als Schiedsrichter und Beobachter, hatte ich gute Verbindungen sowohl zum DHB als auch zum Polizeihandball. Somit wurde ich gefragt, ob ich nicht Lust hätte ein weiteres Amt während meiner Dienstzeit auszuüben. Im Rahmen dieser Tätigkeit bin ich quasi „der Bierhoff der Polizei-Nationalmannschaft“. Ich beobachte viele potentielle Spieler, berufe den Trainer mit dem ich dann die Mannschaft zusammenstelle und treffe die Vorbereitungen für die Polizeieuropameisterschaften, wie Trainingslager und Vorbereitungsspiele.
Erzählt mal ein bisschen über Eure Zeit beim VfL Kamen.
Jamelle: Das war eine herrliche Zeit. Damals war ja noch alles ganz anders als heute. Im Winter haben wir in der Halle gespielt, im Sommer dann im Jahnstadion auf dem Ascheplatz. Feldhandball. Ich war mit meiner Körpergröße natürlich Torwart. Jedoch musste ich mich auch in einem so großen Tor wie damals ordentlich Strecken. Immer wieder hatte ich mir meine Knie oder Arme aufgeschürft, was bei der Asche die logische Konsequenz ist.
Link: Ich bin ja erst später dazu gekommen. Da war das Thema Feldhandball nicht mehr so groß. Meine Zeit als Trainer im Jugendbereich und Spielertrainer der Zweiten Mannschaft war noch einmal richtig spannend und aufregend, bevor es dann mit der Karriere als Schiedsrichter weiterging. Jetzt freue ich mich auf den Lehrgang für ehemalige Schiedsrichter im Januar und kann danach wieder für den VfL pfeifen.
Thomas, Kannst du Dir vorstellen noch einmal eine Mannschaft beim VfL Kamen zu trainieren?
Da muss ich leider ein klares „Nein“ als Antwort geben. Ich habe eine Familie mit zwei Kindern. Einen Job, in dem ich sehr eingespannt bin. Zwar kann ich meine Dienstzeit frei einteilen, jedoch kommt da noch die Beschäftigung als Koordinator der Polizei-Nationalmannschaft hinzu. Zudem ist der Handball heute ein ganz anderer als ich ihn aus Zeiten meiner Trainer- und Spielerlaufbahn kenne und glaube nicht, dass ich da noch der Geeignete wäre.
Wie seht Ihr über die Jahre hinweg eine Entwicklung des Handballs?
Jamelle: Ganz klar. Heute ist das Spiel deutlich schneller, als noch in den 80ern. Damals hat keine Mannschaft eine schnelle Mitte mit erster oder zweiter Welle gespielt. Da haben wir als Schiedsrichter erstmal ganz entspannt die Tore oder Strafen ausgeschrieben und haben dann bestimmt wann es weitergeht. Heute muss ein moderner Schiedsrichter hohe Anforderungen erfüllen, um nicht an diesen kaputt zu gehen. Ein ganz aktuelles Thema ist ja die Einführung der „Shot-Clock“. Ähnlich wie beim Basketball soll eine Uhr hinter den Toren angebracht werden, die die verbleibenden Sekunden für den Angriff herunterzählt. So etwas kann ich mir jedoch bei bestem Willen nicht beim Handball vorstellen.
Link: Auch die Spielanalyse vor und nach den Spielen ist durch die Verfügbarkeit der digitalen Medien immens gestiegen. Früher hat man Videobänder auf Kassetten zugeschickt bekommen und musste sie anschließend wieder zurückschicken. Die waren vielleicht teuer! [Lacht]
Wie stehst Du zu der allgemein bekannten Problematik der Benutzung von Haftmitteln?
Jamelle: [Lacht] Ja das ist in der Tat eine interessante Geschichte. Meiner Meinung nach nehmen wir talentierten jungen Handballern ideale Entwicklungsmöglichkeiten, wenn sie ohne Haftmittel spielen müssen. Solche Spieler werden es nie in den in den hohen Leistungshandball schaffen, da Profihandball nie ohne Haftmittel funktionieren kann. Die komplette Dynamik würde aus dem Spiel verloren gehen. Trickwürfe von den Außenpositionen sind doch die Highlights, die ohne Haftmittel nicht möglich wären. Ein selbstklebender Ball wäre durchaus eine sinnvolle Alternative und wurde auch mehrfach getestet. Die derzeitigen Ballmodelle können aber das Harz noch nicht komplett ersetzen.